2.–18.6.
Kornspeicher und Inspektorhaus
beim Novalis-Museum Wiederstedt
Mein
Schatz

Ausstellung

Daniel Herrmann, Alexander Klose
Kuratoren
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Werkleitz hat für das Festival 2023 Mein Schatz zehn international arbeitende Künstler:innen eingeladen. Mit acht neuen, für das Festival entstandenen Arbeiten und zwei Werken, die an die lokalen Bedingungen angepasst wurden, reagieren sie auf die komplexe Gemengelage von Fragen, die sich beim Betrachten des heutigen Mansfelder Landes eröffnen. Ein von Florian Wüst kuratierter Filmraum im Inspektorhaus sowie ein dichtes Programm aus Artist Talks, geführten thematischen Wanderungen, Workshops für Kinder, Konzert, Lesung u.v.m. komplettieren das Festival-Angebot.

Die beteiligten Künstler:innen sind, in alphabetischer Reihenfolge: Ana Alenso, Mabe Bethônico, Karsten Bott, Viktor Brim, Felicitas Fäßler, Juliane Henrich, Stephanie Kiwitt, Barbara Marcel, Agnieszka Polska und Egill Sæbjörnsson.

Ihre Arbeiten werden ergänzt durch die Recherchen, Texte und Konzepte des kulturwissenschaftlichen Landschaftsforschers Lars Fischer und der Kuratorin Lena Reisner.

Das Festival 2023 findet an einem Ort mit wechselvoller Geschichte statt. Ursprünglich war hier ein Dominikanerinnenkloster, das säkularisiert und großenteils zerstört wurde. Ein Teil der Kirche verwandelte sich in einen Kornspeicher für ein auf dem ehemaligen klösterlichen Anwesen errichtetes Adelsgut. Hier wurde vor 250 Jahren der Dichter und Philosoph Friedrich von Hardenberg alias Novalis geboren. Heute befindet sich im ehemaligen Schloss die Forschungsstätte für Frühromantik und Novalis-Museum Schloss Oberwiederstedt. Der einstige Kornspeicher und das ehemalige Inspektorhaus dienen dem Werkleitz Festival als Ausstellungs- und Festivalräume. Zu sehen sind in den atmosphärisch dichten Räumlichkeiten, die vom großen Vorratskeller bis zum Kirchendachstuhl reichen und für das Festival aus teils langem Dornröschenschlaf erweckt wurden, großformative Installationen, Skulpturen, Videoprojektionen und feingliedrige grafische Arbeiten. 

Werke in der Ausstellung

Das kollektive Buddeln. Ein Papiertheater über die Mythen des Bergbaus

Schäfergasse 6 Kornspeicher 06456 Arnstein, OT Wiederstedt

Geologische Interaktionen nennt die Künstlerin eine fortlaufende Serie von Arbeiten. In ihnen untersucht sie die verschiedenen Verhältnisse, die Menschen zu Mineralien unterhalten, und welche sozialen Beziehungen sich darin ausdrücken. 2021 erschien im Rahmen der Architekturbiennale Venedig eine von ihr konzipierte und herausgegebene Textsammlung mit dem Titel Missing Words for Considering Stones, Rocks, Pebbles, and Mountains: A Vocabulary of Proximity [Fehlende Worte für die Erwägung von Steinen, Felsen, Kieseln und Bergen: Ein Vokabular der Nähe]. Für Bethônico ist dieses Konzept eine Form von „Geomediation“: der Versuch, Beziehungen zu erkunden und zu erproben, die die Erde mit all ihren Bestandteilen – einschließlich der steinernen – als lebendiges Gegenüber respektieren. Der brasilianische Bundesstaat Minas Gerais, aus dessen Hauptstadt Belo Horizonte die Künstlerin stammt, gab ihr dieses Thema vor. Die Geschichte dieser Gegend, die ihre Bestimmung bereits im Namen trägt (Minas Gerais heißt auf deutsch Allgemeine Minen), ist untrennbar mit Bergbau und Kolonialismus verbunden. Auch ihre für Mein Schatz entstandene Arbeit The Collective Dig. A Paper Theatre on the Myths of Extraction [Das gemeinschaftliche Buddeln. Ein Papiertheater über die Mythen des Bergbaus] fragt nach den Bedingungen des aktuellen und historischen sowie den Möglichkeiten eines anderen Bergbaus, der verantwortungsvoller mit Natur und Menschen umgeht und dessen Erträge gerecht verteilt werden.

Die Arbeit ist in Kooperation mit Schüler:innen aus Kunstklassen des Wilhelm und Alexander von Humboldt Gymnasiums Hettstedt und deren Lehrerinnen Steffi Schmidt und Kerstin Jankowski entstanden.

Glück auf!

Schäfergasse 6 Kornspeicher 06456 Arnstein, OT Wiederstedt

Die Mine gibt, die Mine nimmt. So lautet der Titel einer früheren Arbeit Ana Alensos. Sie behandelt den neuen Goldrausch in Venezuela. Der Abbau findet größtenteils in illegalen Minen tief im Dschungel statt, betrieben von kriminellen Banden, Guerilleros und Paramilitärs und mit verheerenden Auswirkungen auf die dort lebenden Menschen und die Natur. Der Spruch klingt wie der Widerhall eines alten Tiroler Landreims aus dem 16. Jahrhundert: „Das und anders mehr, kommt alles vom Bergbau her.“ Wann hat sich die Illusion in die Phantasie der Menschen eingeschlichen, die Schätze unter Tage könnten in unendlicher Menge und quasi ohne Preis zu haben sein? Den Preis für die Förderung und den Einsatz gigantischer Mengen fossiler Rohstoffe zahlt jetzt die ganze Menschheit. Die Häufung katastrophaler Naturereignisse und die andauernde politische Auseinandersetzung darüber, wie dem zu begegnen sei, haben unübersehbar werden lassen, dass wir uns in einer Art Payback-Situation befinden. In Bezug auf all die anderen von der industriellen Zivilisation gebrauchten Materialien scheint sich der Wunschtraum unbegrenzter Verfügbarkeit jedoch zu halten und sogar zu erneuern, je abgekoppelter von den Realitäten des Bergbaus das Leben eines Großteils der Menschen stattfindet, die von seinen Hervorbringungen profitieren. Ana Alensos für Mein Schatz entstandene Arbeit Glück auf! dekonstruiert diesen Unendlichkeitsglauben als optische Illusion und spiegelt die ebenso naive wie haltlose Anspruchshaltung der Menschen aus den Konsumgesellschaften.

the cavity on the inside

Schäfergasse 8 Inspektorhaus 06456 Arnstein, OT Wiederstedt

Wer sagt, dass Mineralien totes Gestein sind? Die kategorische Unterscheidung des westlichen Denkens zwischen lebendiger, aktiver und „lebloser“, vermeintlich passiver Materie bildet die Voraussetzung dafür, Bodenschätze hemmungslos auszubeuten. Das sagt die Anthropologin Elizabeth Povinelli, die sich intensiv mit Konflikten zwischen kolonialen Gesetzgebungen über Landnutzungsrechte und den Naturauffassungen indigener Bevölkerungen beschäftigt hat. Doch auch im westlichen Denken selbst – so in der romantischen Naturphilosophie eines Novalis – findet man Vorstellungen, die sich gegen die Alleinherrschaft von ökonomischem Kalkül und wissenschaftlichem Rationalismus wenden. Der aus Usbekistan gebürtige deutsche Künstler Viktor Brim beschäftigt sich mit der Aktivität von Gesteinen. Ihn interessieren sowohl die Umstände ihrer Förderung als auch die Dynamiken, in die sie selbst eingelassen sind und die von ihnen angestoßen werden, von der Geologie über die Ökonomie bis zur Politik. Für Mein Schatz entwickelte er die Mehrkanal-Videoarbeit the cavity on the inside [Die Grube innendrin]. Sie basiert auf animierten 3D-Scans von Gesteins- und Schlackebrocken, die er in ehemaligen Minen und auf Halden des Mansfelder Landes fand. Die Videos dokumentieren und simulieren verschiedene Fließzustände und Strukturbildungsprozesse von Gesteinen. Natürliche Vorgänge wie Oxidation, Versinterung und Vererzung, die Tausende oder sogar Millionen von Jahren in Anspruch nehmen können, werden beschleunigt und spekulativ mit metallurgischen Verfahren aus der Hüttenindustrie gekreuzt, um Wirkmächtigkeiten und geologische Tragweiten zu erforschen. 

the cavity on the inside wurde koproduziert mit dem Digitalen Koproduktionslabor (gefördert vom Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen).

Von Jedem Eins - Kahlenberg/Bott

Warum muss Geschichte erst vergraben und dann von Archäologen wieder ausgegraben werden? Das fragt Karsten Bott, der seit über 30 Jahren an seinem Archiv für Gegenwarts-Geschichte arbeitet. Von Jedem Eins ist seine Devise und der Titel zahlreicher Präsentationen von Destillaten aus diesem Archiv. Rund 5000 Bananenkisten mit etwa 500.000 Objekten umfasst seine Sammlung inzwischen. Was macht den Wert der alltäglichen Dinge aus? Was enthebt sie dem entwertenden Strudel aus industrieller Herstellung, serieller Eintönigkeit, Massenkonsum und Wegwerfkultur? Ihr individueller Gebrauch und die persönlichen Geschichten, die sich an die Objekte hängen, sagt Bott. Die Tatsache, dass sie wie Schätze gefunden, geborgen, aufbewahrt und präsentiert werden, ließe sich aus der kuratorischen Perspektive von Mein Schatz hinzufügen. Für das Werkleitz Festival 2023 begab sich Bott auf eine neue Suche. Zusammen mit dem Hettstedter Schrottsammler Dieter Kahlenberg entstand Von Jedem Eins - Kahlenberg/Bott. Das ist ein Auszug aus dem Bestand des ehemaligen Werkzeugmachers, der bis Anfang der 1990er Jahre im Walzwerk des Mansfelder Kombinats arbeitete und bereits 1970, als die Schrottpreise zu steigen begannen, mit dem Sammeln von wertigen Gebrauchtmaterialien begonnen hatte. „Hier habe ich meine Ruhe und mein Reich“, sagt Kahlenberg über sein Grundstück und seine Sammlung. Er und Bott trafen gemeinsam eine Auswahl, und der Künstler sortierte und präsentierte die Schätze seiner Methode gemäß geordnet nach verschiedenen gesellschaftlichen Funktionszusammenhängen.

Dendriten

Schäfergasse 6 Kornspeicher 06456 Arnstein, OT Wiederstedt

Geschärft und zugleich spekulativ verzerrt von einer Kombination aus gegenwartsanalytischer und künstlerischer Sensibilität ist Juliane Henrichs Blick auf das Mansfelder Land. In der Abwesenheit des Bergbaus sieht sie die Anwesenheit des Data-Mining, das die Verhaltensweisen der Benutzer:innen elektronischer Geräte zu Erzadern und die Datenspeicher zu Minen macht. In der Abwesenheit der Kupferverarbeitung sieht sie die Anwesenheit der Verdrahtung von elektronischen Geräten aus denselben edlen Metallen. Die Frage, ob es einen guten Bergbau geben kann, die sich heute nicht weniger dringlich stellt als zu Zeiten von Novalis, hat in der digitalen Kultur eine zusätzliche Dimension bekommen. Der frühromantische Dichter verarbeitete seine Erfahrungen als Bergbau-Ingenieur in literarischer Form. In den hinterlassenen Gedichten, Prosatexten und Fragmenten beschwört er eine ästhetische, emotional verbundene und von höheren Werten geleitete Naturauffassung, die jene ungehemmte Ausbeutung der Bodenschätze nicht zulässt, der er durch seine berufliche Praxis selbst Vorschub leistete. Für ihre Arbeit Dendriten, die für Mein Schatz entstanden ist, ließ Juliane Henrich einige seiner Textfragmente von einer künstlichen Intelligenz vervollständigen. Dies kombiniert sie in ihrer Mehrkanal-Videoinstallation mit Aufnahmen von Minen und Halden sowie der Verbildlichung einer Schlüsselszene aus dem Romanfragment Heinrich von Ofterdingen von Novalis, die sie mithilfe eines Bildergenerierungsprogramms herstellte und Bewegtbild-Fundstücken aus dem Internet, des größten öffentlichen Schauplatzes der Datenextraktion. 

Als Dendriten bezeichnet man die zweigförmigen Verbindungen zwischen den Nervenzellen im Gehirn. In künstlichen neuronalen Netzen wird diese Struktur imitiert. Auch Kristalle wachsen in Dendritenform.