2.–18.6.
Kornspeicher und Inspektorhaus
beim Novalis-Museum Wiederstedt
Mein
Schatz

Filme

Florian Wüst
Kurator
01-yellow-bird

Filme

Das Filmprogramm des Werkleitz Festivals 2023 umfasst einen Filmraum als Teil der Ausstellung in Wiederstedt und eine dreiteilige Filmreihe im Zazie Kino in Halle. Die von Florian Wüst kuratierten Filme blicken über das Mansfelder Land hinaus auf die Geschichte und Gegenwart bergbaulichen Wirtschaftens. 

Von Nordeuropa bis Südamerika zeugt die Erschließung tiefer Erdschichten von der Gewalt kolonialer Landnahme, Vertreibung und Umweltzerstörung. Bodenschätze sind die materielle Grundlage des modernen Lebens, wie wir es kennen und wie es vor dem Hintergrund von sozialer Ungleichheit, Energiekrise, Klimawandel und Artensterben endgültig an seine Grenzen stößt. Die vier im Inspektorhaus präsentierten Kurzfilme von Mareike Bernien & Alex Gerbaulet, Andreas Bunte, Ilaria Di Carlo und Armin Thalhammer sezieren Raum und Zeit, setzen Arbeit und Technik, Landschaft und Umwelt ins Verhältnis: die geologischen und narrativen Sedimente des Erzgebirges als strahlendes Vermächtnis des Atomzeitalters, die künstliche Erzeugung von Diamanten als physikalisches Wunder und Versuch eines Auswegs aus geopolitischen Abhängigkeiten, die bizarren Tagebau- und Kraftwerkslandschaften der ost- und westdeutschen Kohleindustrie als unbegreifliche Mahnmale einer industrialisierten Natur und der Silberbergbau im bolivianischen Potosí als Inbegriff der jahrhundertealten Ausbeutung indigener Arbeitskraft.

Filmprogramm in Halle

01.06.2023,
08.06.2023,
15.06.2023

Mein Schatz findet auch in Halle (Saale) statt: Die Filmreihe im Kino Zazie vertieft und erweitert das Festivalthema rund um die Frage alter und neuer Wertschöpfungen.

Erde ohne Boden zeigt künstlerische Kurzfilme von Adina Camhy und Stéphanie Lagarde zusammen mit den in Wiederstedt ausgestellten Filmen von Mareike Bernien & Alex Gerbaulet und Andreas Bunte. Das Programm verweist auf die weltverändernden Kräfte sowohl des menschlichen Tuns als auch der „Geomacht“, die Territorialisierung und soziale Reproduktion mitbestimmt, so die Geografin Kathryn Yusoff. Das zweite Kurzfilmprogramm, Schnitt ins Land, verknüpft die Abbaggerung von Dörfern im Geiseltal in Thomas Kuschels Umkohlung (1965) mit dem Portrait ländlicher Arbeits- und Familienverhältnisse in aktuellen Filmen von Marian Mayland und Alexandra Tatar. Der abendfüllende Dokumentarfilm Die Nordkalotte von Peter Nestler (1991) vergegenwärtigt schließlich die Ressourcenausbeutung im Norden Skandinaviens, die seit jeher die Traditionen und die naturverbundene Lebensweise der Samen, des letzten Urvolks Europas, bedroht.

Erde ohne Boden

01.06.2023 20:00
Kleine Ulrichstraße 22 Zazie Kino Halle 06108 Halle (Saale)

Das Kurzfilmprogramm Erde ohne Boden verweist auf die weltverändernden Kräfte sowohl des menschlichen Tuns als auch der „Geomacht“: die Erdkräfte, die die vorpolitischen Bedingungen der Territorialisierung darstellen und die soziale Reproduktion mitbestimmen, so die Geografin Kathryn Yusoff. Bislang fanden im anthropozentrischen Denken und Handeln westlicher Prägung nur „biologische“ Subjekte Geltung. Doch die Erde schlägt in Form des Klimwandels längst zurück. Zwei der Filme in Erde ohne Boden thematisieren die Rohstoffproduktion der DDR; sie geben eine Vorschau auf die Festivalausstellung in Wiederstedt, wo sie im Inspektorhaus gezeigt werden. Sonne Unter Tage von Mareike Bernien und Alex Gerbaulet folgt den radioaktiven Spuren des von der SAG Wismut betriebenen Uranbergbaus im Erzgebirge: der Boden als Archiv technischer und gesellschaftlicher Utopien. Die natürliche Diamantbildung, die unter extremen Druck- und Temperaturbedingungen im Erdmantel vonstatten geht, lässt sich simulieren, wie Andreas Buntes Künstliche Diamanten minutiös dokumentiert. Diese Erfindung sollte die DDR wirtschaftlich unabhängiger machen. Auch in Adina Camhys Crater bildet ein geologisches Phänomen – diverse terrestrische und extraterrestrische Krater – den Ausgangspunkt der künstlerischen Reflexion über vergangene Gewaltmomente und die Unmöglichkeit der lückenlosen Erfassung der Welt. Ob immer höher oder immer tiefer: Den Impetus architektonischer Expansion als Ausdruck unseres Verhältnisses zur Umgebung beschreibt Stéphanie Lagardes Minimal Sway While Starting My Way Up aus Sicht eines intelligenten, von Selbstzweifeln geplagten Aufzugs. 

Anschließendes Publikumsgespräch mit Mareike Bernien, Andreas Bunte und Alex Gerbaulet, moderiert von Florian Wüst

Die Nordkalotte

08.06.2023 20:00
Kleine Ulrichstraße 22 Zazie Kino Halle 06108 Halle (Saale)

Nordkalotte wird in Skandinavien die raue, karge, aber auch faszinierende Landschaft am äußersten Rand Europas genannt: das Grenzgebiet von Norwegen, Schweden, Finnland und Russland. Hier siedeln die einst nomadischen Samen mit ihren Rentierherden. Peter Nestlers Die Nordkalotte ist ein Dokumentarfilm über Geschichte, Traditionen und Naturverständnis der Samen. Sie haben über Jahrhunderte gelernt, ihre Bedürfnisse auf die klimatischen Bedingungen des Polarkreises einzustellen. Die Samen sind heute eine Minderheit im eigenen Land, viele arbeiten in modernen Berufen, leben in Städten, während die natürlichen Lebensgrundlagen der Region zunehmend verloren gehen. Staudämme wurden errichtet, um Strom zu gewinnen. Wälder bedenkenlos gerodet. Riesige Bagger durchwühlen die Erde nach Erz und Nickel, kehren das Unterste zuoberst. Nestler rechnet mit der Industriegesellschaft ab, die die entlegensten Regionen mit Großprojekten überzieht und das ökologische Gleichgewicht dem Profitkalkül opfert. Doch dem nicht genug: Als der Reaktor von Tschernobyl im April 1986 barst, erreichten seine nuklearen Giftfrachten auch den hohen Norden. Wie in vielen seiner Filme stößt Nestler auch hier auf die Spuren des Zweiten Weltkriegs. Erzählt wird von einer erfolgreichen Flucht vor den Deutschen. Am Ende schlägt Die Nordkalotte noch einmal den Bogen zum Umgang der Samen mit der Natur, der nicht auf deren Unterwerfung zielt, sondern auf eine spirituelle Harmonie zwischen Mensch und Schöpfung.

Anschließendes Publikumsgespräch mit Tobias Holzlehner (MLU Halle-Wittenberg) und Judith Miggelbrink (TU Dresden), moderiert von Florian Wüst  

DE 1991, 90'

Schnitt ins Land

15.06.2023 20:00
Kleine Urlichstr. 22 Zazie Kino Halle 06108 Halle (Saale)

Das Geiseltal südlich von Halle ist heute eine Seenlandschaft, die durch die Flutung mehrerer Tagebaurestlöcher entstand. Die Braunkohle des Geiseltals lag nahe der Oberfläche. So musste vergleichsweise wenig Abraum bewegt werden, was die fast vollständige Auskohlung der Lagerstätte bis 1993 begünstigte. Von „Umkohlung“ sprach man in der DDR, wenn Dörfer abgebaggert und Menschen umgesiedelt wurden, um dem Braunkohletagebau Platz zu machen. In seinem ersten DEFA-Dokumentarfilm Umkohlung aus dem Jahr 1965 gibt Thomas Kuschel den Betroffenen eine Stimme, er zeichnet ein außergewöhnlich kritisches Bild der Konsequenzen einer fossilen Energiepolitik, die bis heute Natur und Kultur vernichtet. Das Programm Schnitt ins Land verknüpft Kuschels Film mit dem Portrait ländlicher Arbeits- und Familienverhältnisse in aktuellen Filmen von Marian Mayland und Alexandra Tatar. Wie sehr die 1980er Jahre auf persönlicher wie gesellschaftlicher Ebene Endzeitgefühle hervorbrachten, erforscht Mayland im Gespräch mit ihren Eltern und ihrem Bruder – eingebettet in die häusliche Umgebung der einst mehr schlecht als recht laufenden elterlichen Gärtnerei in einer westdeutschen Kleinstadt nahe eines Militärübungsplatzes. Die Monotonie industrialisierter Landschaften ist nicht nur Ergebnis von Ausräumung, sondern ebenso von großflächiger agrarischer Nutzung, deren Profitabilität nicht selten auf dem Rücken prekär bezahlter Erntehelfer:innen aus Osteuropa erzielt wird. Dieser Erfahrung setzte sich die rumänische Künstlerin Alexandra Tatar gemeinsam mit ihrer Mutter in einem österreichischen Weinanbaugebiet aus: Mâna care taie (Schneidende Hand) bezeugt die tiefe Unwucht der europäischen Integration.

Anschließendes Publikumsgespräch mit Marian Mayland und Alexandra Tatar, moderiert von Florian Wüst

Filmraum in Wiederstedt

03.06.2023 11:00 20:00
Schäfergasse 8 Inspektorhaus 06456 Arnstein, OT Wiederstedt

Am Fuße eines spitz aufragenden Berges im bolivianischen Hochland, dem Cerro Rico, wurde 1545 die Siedlung Potosí gegründet. Dort, wo schon die Inka Silber förderten, entwickelte sich in den Folgejahren eine ertragreiche Bergbauindustrie, die dem spanischen Königshaus bitter benötigte Devisen bescherte. Hier entstand die weltweit erste Bergbauakademie; mit 150.000 Einwohner:innen zählte Potosí zu einer der größten Städte des 17. Jahrhunderts. An dieser Geschichte unermesslichen Reichtums haftet eine noch unermesslichere Geschichte von Schweiß, Blut und Tod: Die Mita, ein System der Tributleistung durch Arbeit, zwang die indigene Bevölkerung zu Abertausenden in die Minen. Potosí wurde zum universellen Symbol eines menschenverachtenden und umweltzerstörenden Kolonialismus, doch die Geschichte geht weiter: Unter härtesten Arbeitsbedingungen werden noch heute die letzten Edelmetallreste aus dem durchlöcherten Berg gekratzt. 

Der Filmraum von Mein Schatz im Inspektorhaus präsentiert vier künstlerisch-dokumentarische Kurzfilme von Mareike Bernien & Alex Gerbaulet, Andreas Bunte, Ilaria Di Carlo und Armin Thalhammer, die die sozialen, technischen und ökologischen Zusammenhänge extraktivistischen Wirtschaftens auffächern: von Potosí über das strahlende Vermächtnis des Uranabbaus im Erzgebirge und die künstliche Erzeugung von Diamanten in der Nähe von Potsdam als Ausweg aus geopolitischen Abhängigkeiten bis hin zu den bizarren Tagebau- und Kraftwerkslandschaften der ost- und westdeutschen Kohleindustrie.

Cerro Rico – The Silver Mountain

Im Jahr 1545 wurde eine Silberader im bolivianischen Hochland entdeckt – in einem Berg, der zur Quelle des europäischen Wohlstands geriet. Unter seinem Schatten wurde die Stadt Potosí gegründet, die sich schnell zur reichsten Stadt der Welt entwickelte. Heute ist der Glanz dieser Blütezeit längst verschwunden. Hinsichtlich der Arbeitsbedingungen hat sich jedoch seit der Entdeckung des Silbers kaum etwas verändert: Etwa 15.000 Minenarbeiter graben sich noch immer durch den Berg, um die letzten Silberreserven von den Felswänden zu kratzen. Armin Thalhammers Debütfilm bietet einen eindrucksvollen Einblick in den harten Arbeitsalltag im Cerro Rico. Staub, das Licht der Kopflampen, dumpfes Hämmern – eine einzigartige und bizarre Szenerie an einem der gefährlichsten Arbeitsplätze. 

Armin Thalhammer, AT 2015, 30'

Die Sonne liegt im Erdinnern

Ein Schotterweg am Dorfrand, durch Felder hindurch bis zum Zaun, eingezeichnet in die Karte ehemaliger Uranabbaugebiete in Sachsen und Thüringen. Die sowjetische Aktiengesellschaft SAG Wismut baut dort von 1946 bis 1990 für das Atomwaffenprogramm der UdSSR Uran ab. Oben strahlt der Sozialismus in die Zukunft, aus der aufgerissenen Erde strahlt ein uraltes Gestein. Die DDR-Umweltbewegung wirft ein Schlaglicht auf den Weg. Nacht. Dunkelheit. Eine Gruppe von Menschen, eine Taschenlampe, ein Röntgenstreifen wird im Schotter vergraben. Der Boden belichtet den Film. Die Sonne liegt im Erdinnern folgt dieser Spur horizontal durch die heutigen, von Abbau und Sanierung geprägten Landschaften und vertikal durch den Boden als Archiv. Tiefenbohrungen durch Raum und Zeit spüren den sedimentierten Narrativen nach, die das Element Uran materiell, metaphorisch und geopolitisch umgeben. 

Die Sonne liegt im Erdinnern ist die zehn Minuten kürzere Installationsfassung des Films Sonne Unter Tage.

Mareike Bernien, Alex Gerbaulet, DE 2021, 29'

Sirens

Monolithische Kraftwerke, wogende Rauchschwaden, zerfurchtes Land, ein blutroter Himmel. Ilaria Di Carlos Sirens ist ein experimenteller Kurzdokumentarfilm, der die Kohlekraftwerke und Tagebaue der Lausitz sowie Nordrhein-Westfalens in ihren letzten Jahren der Energieerzeugung zeigt. Ausschließlich aus Hubschraubern gedreht, nimmt uns der Film mit auf eine Reise, die an die Durchfahrt des Bootes von Odysseus durch die Meerenge der Sirenen erinnert. Eine Odyssee durch Landschaften, die sich von einer Zukunftsverheißung in eine Dystopie verwandelt und die Ökosphäre der Erde dauerhaft geprägt haben.

DE/IT 2022, 13'

Künstliche Diamanten

01.06.2023 20:00

Künstliche Diamanten bildet den Herstellungsprozess künstlicher Diamanten in der Vollstädt Diamant GmbH von Anfang bis Ende ab. Der Betrieb wurde von dem Mineralogen Heiner Vollstädt gegründet, der seine Forschung über künstliche Diamanten vor 40 Jahren am Zentralinstitut für Physik der Erde in der ehemaligen DDR begann. Seit den späten 1970er Jahren war die Produktion künstlicher Diamanten ein prestigeträchtiges Projekt der DDR-Regierung, das darauf abzielte, die Abhängigkeit des Landes von Diamant-Importen aus der UdSSR oder dem Westen zu beenden. Nach der Wiedervereinigung wurde die Forschung am Institut eingestellt; Vollstädt verlegte einige der Maschinen auf ein stillgelegtes Militärlager außerhalb von Potsdam, wo er als privater Unternehmer weiter an der Herstellung künstlicher Diamanten arbeitet. 

DE 2013, 13'

16mm film transferred to HD Video, color, sound, 13:16 min.
part of the Installation Two Films about Pressure, 2013
two HD videos

Gefördert durch die
ksb
Gefördert von
bund
Kooperationspartner sind der Landkreis Mansfeld-Südharz, die Stadt Arnstein und die Forschungsstätte für Frühromantik und Novalis-Museum Schloss Oberwiederstedt.
Kulturpartner
mdr
Filmland Sachsen Anhalt +